Die Tuchmacher e.V.

Für sozial verträgliche Mieten!

Schlagwort: wohnen

„Wem gehört Potsdam?“

Dossier zu einem der wichtigsten lokalen Immobilien – Unternehmer – Wolfhard Kirsch

Das Redaktionsteam des Blogs „Stadt für alle“ veröffentlicht ein weiteres Dossier zur Frage „Wem gehört Potsdam?“

Dossier: Wolfhard Kirsch

„Wir lassen uns nicht mehr verdrängen“

Der Redebeitrag der Tuchmacher*innen auf der Potsdamer Mieten-Stopp-Demo  :

Liebe Potsdamer*innen!

In den letzten Wochen ist des öfteren der Slogan „Die Häuser denen, die drin wohnen“ gefallen, und auch hier auf der Demo läuft (vielleicht) ein Transpi mit diesem Satz mit. „Die Häuser denen, die drin wohnen“ ist ursprünglich ein Statement für Hausbesetzungen, und wir haben wir ihn bei Räumungen besetzter Häuser ausgepackt, oder bei Demos gegen Räumungen. Er ergreift Partei für Menschen, die leerstehende Häuser besetzen und instand halten, die Wohnraum als Grundbedürfnis begreifen und über die Besitzansprüche daran stellen, die Häuser nicht als Immobilien, sondern als Obdach betrachten, die bei Leerstand und Verfall einfach einziehen, um zu bleiben. Und er richtete sich in diesem Zusammenhang gegen die Hauseigentümer und den ihre Interessen durchsetzenden Staat, die Profite über Menschen stellen und Eigentum über Bedarf.

In Potsdam gab es nach der Wende viele solcher besetzter Häuser. Inzwischen sind die allermeisten geräumt, ehemalige Besetzer_innen wohnen in der Regel zur Miete oder haben Pachtverträge abgeschlossen, der Kampf um kostenlosen Wohnraum ist pragmatischen Lösungen gewichen, die üblicherweise einen Kompromiss zwischen dem Streben nach einem Leben „irgendwie in Gemeinschaft“, dem Anspruch an wenn nicht kostenlosen, dann doch wenigstens kostengünstigem Wohnen mit möglichst wenig Gängelung durch Vermieter_innen und dem auf dem Freien Markt Möglichen darstellt. Die Diskussion, welchen Stellenwert Wohnen gesellschaftlich haben sollte, wie der Besitz an Wohnraum verteilt ist oder sein sollte, und warum sich diese Verteilung über Generationen weitervererben darf, wird heute kaum noch geführt. Kaum jemand stellt noch in Frage, ob es denn in Ordnung ist, dass der alleinerziehende Krankenpfleger jeden Monat die Hälfte seines Einkommens an eine wohlhabende Anwältin überweist, damit er ein Dach über dem Kopf hat. Oder ob wir es in Ordnung finden, dass manchen Familien 90 qm für vier Personen zustehen, und andere auf 400 qm wohnen. Der Häuserkampf ist befriedet, die Leute zahlen brav ihre Mieten, es gibt einen legalen Rahmen für anhaltende Mietsteigerungen, und kein Mittel dagegen. Widerstand scheint von vorn herein zwecklos, denn man hat als vereinzelte Bürgerin Polizei und Jusitiz gegen sich – Auf dem Schlachtfeld des Immobilienmarktes stirbt jedeR für sich allein.

In diesen Zeiten, wo der Häuser- und Mieter_innenkampf derart am Boden liegt, und wo sich kaum jemand mehr traut, gegen seine Vermieter zu rebellieren, aus Angst, dass man dann aus der Wohnung fliegt und keine bezahlbare neue mehr findet, bekommt „Die Häuser denen, die drin wohnen“ eine neue, wenig rühmliche Bedeutung. Heute wird nicht mehr das Privateigentum auch an Wohnungen in Frage gestellt, sondern für viele von völlig legaler Verdrängung bedrohten brave Mieter_innen wird das Eigentum an ihrer Wohnung zur einzigen Möglichkeit, um überhaupt langfristig irgendwo wohnen zu können. Manche binden sich dafür lieber bis zur Rente private Kredite bei irgendwelchen Banken ans Bein und sind ihr halbes Leben lang verschuldet, als sich dem Wohnungsmarkt auszuliefern. Andere finden gemeinschaftliche Lösungen und versuchen, zusammen kollektive Wege auszuprobieren. Aber beiden gemeinsam ist die Bedrohung durch Wohnungslosigkeit aufgrund der kapitalistischen Verwertung von Wohnraum, dem nicht politisch, sondern mit Kauf begegnet wird.

Unser Haus in der Tuchmacherstraße 8 in Babelsberg, das die Pro Potsdam zusammen mit noch einigen anderen vor genau einem Jahr zum Verkauf ausgeschrieben hatte, ist so ein Haus. Auch wir sind kürzlich neue Eigentümer_innen geworden. Das hat uns zwar neue Freiheiten und die gewünschte Sicherheit, wohnen bleiben zu können, gebracht, aber wir sehen diese Entwicklung sehr kritisch. Es war ein Hauskauf aus der Not heraus, denn die ProPotsdam hatte den Verkauf beschlossen und über ein Höchstgebotsverfahren schon zwei Architekten als neue Eigentümer ausgesucht. Wenn Häuser so verkauft werden, ist schon relativ klar, was mit ihnen weiterhin passiert: Sie werden saniert, die Mieten angehoben, Altmieter_innen ziehen aus, bei der Neuvermietung haben sich die Preise dann so vervielfacht, dass ganze Bewohnerschaften ausgetauscht werden, und am Ende haben die Mieter_innen den Kaufpreis zum Höchstgebot refinanziert. Die beiden Architekten hatten schon angefangen zu vermessen.

In dieser Situation hatten wir die entscheidende Unterstützung vom Mietshäuser Syndikat, sodass unser Haus jetzt Teil eines bundesweiten Verbunds an Gemeinschaftsbesitz ist. Niemandem gehört das Haus oder Teile davon persönlich, aber alle zusammen bestimmen jetzt, ob, was und wann saniert wird oder was sonst in unserem Haus passiert. Alle konnten bleiben – und das ist ein riesen Erfolg.

Aber uns ist auch klar, dass der Hauskauf keine breite Antwort auf die wohnungspolitische Lage sein kann. Und diese Lage sieht derzeit so aus, dass Mieten seit Jahren ansteigen. Seit der letzten Mietenstop-Demo vor 5 Jahren hat sich die Situation noch weiter zugespitzt. Weder Kappungsgrenze noch die sog. Mietpreisbremse sind geeignete Instrumente, daran etwas zu ändern. Und wir haben im Zuge des Verkaufs der Tuchmacherstraße 8 gelernt, dass auch unsere Stadtverordneten bis auf wenige Ausnahmen Profitmaximierung über soziale Verantwortung stellen. Sie kennen alle das „Wohnungspolitische Konzept der Stadt Potsdam“, in dem genau diese Problematik beschrieben ist, und haben es sogar in Auftrag gegeben und mitunterschrieben. Aber offenbar nur für die Schublade, oder um sich damit gelegentlich zu schmücken.

Solange Wohnungsunternehmen wie die ProPotsdam, Kirsch&Drechsler, Semmelhaak und die vielen privaten Wohnungsvermieter mit unseren Mieten Profite machen können, werden sie es auch tun. Dabei gibt es viele einfache Maßnahmen, die erhebliche Entspannung brächten. z.B.

  • eine Mietermitbestimmung bei allen entscheidenden Belangen um ein Haus
    • bei der PP sollten Mieter_innen auch im Aufsichtsrat vertreten sein
  • keine Sanierung über Bedarf, und generell nur in Absprache mit Mieter_innen
  • Ausrichtung der Miethöhe an Einkommen statt an Wohnlage
  • Besteuerung von Spekulation und Wiedereinführung einer Wohn-Gemeinnützigkeit
  • Schluss mit der Privatisierung kommunaler Wohnungen

Sicher gibt es noch mehr und bessere Ideen. Und vor Allem braucht es wieder eine öffentlich Diskussion darüber, wie wir leben wollen und ein ernsthafte Kritik an den Besitzverhältnissen. Und es braucht offenen und lebendigen Widerstand und Druck auf der Straße. Und zwar nicht nur mal auf einer Demo, wie wir heute hier, sondern jeden Tag!

Hierzu gibt es ein schönes Zitat aus „Die Eroberung des Brotes“ von Peter Kropotkin (1892):

Nicht der Eigentümer hat das Haus gebaut; errichtet haben es Hunderte von Arbeitern, und sie haben es auch dekoriert und tapeziert. Hunger hat sie auf die Bauplätze getrieben und Notdurft sie gezwungen, einen viel zu geringen Lohn zu akzeptieren.
Das von dem vorgeblichen Eigentümer investierte Geld war kein Produkt eigener Arbeit. Wie jeden Reichtum hatte er es akkumuliert, indem er den Arbeitern zwei Drittel oder gar bloß die Hälfte von dem zahlte, was er ihnen schuldete. Schließlich – und gerade hierbei springt das Ungeheuerliche [der ganzen Geschichte] in die Augen – bewirkt den aktuellen Wert des Hauses der Profit, den der Eigentümer daraus zieht. Der Profit verdankt sich wiederum dem Umstand dass das Haus in einer gepflasterten Straße einer gasbeleuchteten Stadt steht, die regelmäßige Verkehrsverbindungen zu anderen Städten unterhält und über Industrie-, Handels-, Wissenschafts- und Kunstetablissements verfügt; dass Brücken, Kais und Architekturdenkmäler die Stadt zieren und sie den Einwohnern auf Dörfern unbekannten Komfort und Annehmlichkeiten in tausenderlei Gestalt bietet; daß 20 oder 30 Generationen sie wohnlich, gesund und schön gemacht haben.
In einigen Vierteln von Paris beträgt der Wert eines Hauses eine Million, nicht weil die in seinen Mauern repräsentierte Arbeit eine Million wert wäre, sondern weil es in Paris liegt. Weil Arbeiter, Künstler, Denker, Wissenschaftler und Literaten Paris in Jahrhunderten zu dem gemacht haben, was es heute ist: ein Zentrum der Industrie, des Handels, der Politik, der Kunst und der Wissenschaft. Weil Paris eine Vergangenheit besitzt. Weil die Literatur seine Straßen in der Provinz ebenso bekannt gemacht hat wie im Ausland. Weil es ein Produkt der Arbeit von 18 Jahrhunderten und von rund 50 Generationen des ganzen französischen Volks ist.
Wer dürfte sich da das kleinste Stück Grund und Boden oder das bescheidenste Gebäude aneignen, ohne ein schreiendes Unrecht zu begehen? Wer hätte das Recht, die kleinste Parzelle des gemeinsamen Patrimoniums irgendwem zu verkaufen?“ 

In diesem Sinne halten wir den alten Slogan hoch – und zwar mit seiner ursprünglichen Bedeutung:

Die Häuser denen, die drin wohnen!!!